Die erste Brutzelle

Anderntags, sobald die Sonne am Himmel aufsteigt, fliegt Bornbina aus, um „einzukaufen". Sie benötigt jetzt eine Menge Blütenstaub, und da sie weiß, daß die Bachweide genügend davon feil hält, macht sie dort ihren Besuch. Mit den Kiefern kratzt und mit den Fersenbürsten kehrt sie emsig Pollenstaub von den Blütenkätzchen. Soweit er nicht feucht genug ist, speichelt sie ihn mit etwas Honig ein und formt kleine Bällchen daraus. Noch während des Fluges zur nächsten Blüte befördert sie die Bällchen über die Mittelbeine geschickt in die Sammelkörbchen, flache, ringsum mit starren Haaren versehene Hautstellen an den Außenseiten der Hinterbeine. Zwanzigmal schwirrt Bombina geschäftig von der Weide zum Nest, und jedesmal trägt sie am letzten Beinpaar neckische Höschen aus schwefelgelbem Blütenstaub. Endlich scheint ihr das in der Nestkuhle auf geschichtete Häufchen groß genug zu sein: Der nächste Arbeitsgang kann beginnen.

Eine Brutzelle in Gestalt eines Napfes soll geformt werden, nicht kleiner und nicht größer, als daß ein halbes Dutzend Hummellarven und der notwendige Futtervorrat darin Platz finden. Der Napf darf weder zu flach noch zu schmal geraten, und die Wände müssen von genau bestimmter Stärke sein. Von solchen Notwendigkeiten aber weiß Bombina nichts, sie formt den Napf nach keinem vorbedachten Plan und gibt ihrem Werk doch genau die richtige Gestalt, wie sie ihre Vorfahren seit Jahrtausenden gewählt haben und die alle Erdhummelweibchen überall nur so und nicht anders herstellen werden.

Der Einwand, Bombina habe ja im vergangenen Jahr zuhause solche Näpfe gesehen und sich ihre Herstellung einprägen können, ist aus mehreren Gründen hinfällig. Lernen, etwas nachahmen, dazu sind Insekten niemals fällig. Zudem gab es in der Zeit, als Bombina eine Hummel wurde, im mütterlichen Nest keine Brutzellen mehr; längst waren alle Zellwände abgetragen. Nein, zu Hause hat sie keine Erfahrungen sammeln können, die sich jetzt verwerten ließen. Alles geschieht aus angeborenen Instinkten.

Indes, aus Staub kann niemals ein Topf werden, ein Bindemittel muß auch dabei sein. Bei Hummeln besteht es aus Wachs, das aus dem Körper, aus den Verbindungshäutchen der Leibesringe, ausgeschwitzt wird und an der Luft sofort zu flachen, weichen Plättchen erstarrt. Mit Zangen, die sich an den Fersengliedern und Unterschenkeln der Beine befinden, faßt Bombina die Wachsscheibchen, schiebt sie zwischen ihre Kiefer und knetet Klümpchen daraus. Aus ihnen formt sie durch andauerndes Pressen und Glätten in der Mitte ihrer Nestkuhle eine runde Bodenplatte. Für die Wände, die eßbar sein sollen, vermengt sie das Wachs jeweils mit der doppelten Menge Blütenstaub. So entsteht aus Körnchen um Körnchen ein annähernd senkrecht stehender, bauchig gerundeter Napf, die Brutzelle. Wenn auch das Wachs verhältnismäßig weich und der Pollenstaub leicht ist, für Bombinas geringe Kräfte erfordert die Töpferei sehr viel Zeit und Mühe, und dabei ist erst die untere Hälfte der Zelle fertiggeworden. Bevor Bombina die Brutzelle verschließt, füllt sie Futterbrei, mit Honig vermischten Blütenstaub, hinein und stampft ihn ein wenig fest. Obendrauf legt sie sechs blendend weiße, leicht gekrümmte Eier, jedes zweieinhalb Millimeter lang und einen Millimeter dick. Daneben fügt sie ein paar Honigtröpfchen. Jetzt erst verschließt sie die Öffnung mit einer dünnen Wachsschicht. Anschließend beginnt sie ein zweites Stockwerk, eine zweite Brutzelle, zu errichten, die in gleicher Weise mit Futter und Eiern versorgt und zuletzt verschlossen wird.

Aus den Näpfen samt Inhalt sollen in einigen Wochen etwa ein Dutzend junger Hummeln entstehen, der bescheidene Anfang zu Bombinas großer Familie. Allein, es kommt diesmal anders: Bornbina bat eben den obersten Deckel vollendet, als der Boden der Höhle zu beben beginnt; die Wände wanken, stürzen ein, unheimlich schnell öffnet sich in der Erde ein breiter Spalt. Bombina erreicht gerade noch den rettenden Gang und rennt um ihr Leben; denn hinter ihr bricht alles zusammen. Es mag ein Maulwurf sein, der einen neuen Stollen aushebt und dabei Bombinas Nest aufwölbt und zertrümmert. Trotz der Gefahr, in der sie schwebt, drängt es sie zur Katastrophenstelle zurück, aber sie ist viel zu schwach, als daß sie die Trümmerstätte durchstoßen könnte. Heim und Familie sind verloren.

Bombina zögert nicht lange, aufs neue zieht sie suchend ihre Kreise, um anderswo von vorn zu beginnen. Inzwischen haben alle überwinterten Erdhummelweibchen Nester bezogen, und auch Stein-und Gartenhummeln haben sich eingenistet. Bombina muß das nächstbeste nehmen, was sich ihr anbietet. Unter den Bodenbrettern eines Schuppens findet sie etwas Brauchbares. Acht Tage später stehen auch hier zwei Brutnäpfe übereinander fix und fertig in der Nestmulde, und nahebei ein kleinerer offener Topf aus reinem Wachs, den sie bis zum Rand mit Honig füllt. Es ist der Mundvorrat für die Regentage, wenn die Blütengeschäfte draußen geschlossen haben.

 

Zurueck zur EinleitungNaechstes Kapitel