Untermieter

Als eines von Bombinas Hausgeisterchen sich gerade mit der Blüte einer Skabiose beschäftigt, erschrickt es gewaltig. Denn irgendwas zwickt sie heftig an ihrem empfindlichen Rüsselchen. Sofort surren ihre Propeller los, aber schon beim Start verliert sie das Gleichgewicht und stürzt zu Boden. Das ist ihr noch nie passiert. Schon entdeckt sie auch die Ursache: An ihrem Saugwerkzeug klammert ein kleiner, fünf Millimeter langer Käfer. So klein ist er allerdings für die entsetzte Hummel nicht, sie selber mißt ja kaum viermal mehr. Es ist also ungefähr so, als wenn ein mittelgroßer Hund sich jählings in unserem Arm verbeißen würde.

Vergebens bemüht sick die Gequälte, den Kerl abzustreifen oder abzuschütteln, er läßt nicht los, krallt sich noch fester ein und kneift dabei die Ärmste geradezu erbärmlich. Da sie allein mit ihm nicht fertig wird, sollen ihr die Schwestern zu Hause helfen. Mehrmals versucht sie zu starten, endlich findet sie das Gleichgewicht wieder und saust schnurstraks heim ins Nest. Dort würde man dem Quälgeist schon heimleuchten.

Doch es kommt ganz anders. Als die Hummel am Nesteingang landet und in die Höhle stürzt, läßt der Bösewicht sie los, verschwindet und versteckt sich im Fasergewirr des Bodenpolsters.

Der Fluggast ist ein Käferweibchen aus der Gattung Antherophagus (deutsch: Blütenfresser). Ihr Husarenritt geschieht weder unfreiwillig noch zufällig, sondern absichtlich. Sie benötigt wegen ihrer Nachkommen dringend ein Hummelnest. Auf sich allein gestellt, hätte das Käferlein wohl wochenlang, vielleicht sogar vergeblich nach einem Nest suchen müssen, als blinder Passagier wird es geradenwegs ins Ziel gebracht. Wie ein Dieb, vorsichtig und leise, schleicht die verschwundene Käfermutter unter der Brutwabe im Müll herum, legt da und dort ihre Eier ab und entfernt sich ebenso unauffällig. Ihre Larven werden sich später in aller Heimlichkeit bescheiden von den Wachsresten und sonstigen Abfällen ernähren. Sie werden die Hummeln nicht stören, fügen ihnen auch keinerlei Schaden zu, sie werden von ihnen wohl deshalb überhaupt nicht beachtet. Im Hummelnest verpuppen sie sich und verlassen erst als fertige Käfer das gastliche Heim.

Das unglaublich praktische Verfahren dieser Käfermutter wird um so erstaunlicher, da. man entdeckte, daß die in den Blüten auf Reisegelegenheit harrenden Käferchen sogar die Geschlechter der Hummeln unterscheiden können. Sie klammern sich niemals an den Rüssel der Männchen, stets nur an weibliche Hummeln, so als ob sie wüßten, daß die Männchen nur selten, die Weibchen jedoch regelmäßig in ihr Heim zurückkehren, eben dorthin, wo allein die Käferlarven gedeihen können.

 

Manchmal reicht bei einigen Hummelarten der lange Rüssel nicht aus, um vom Blüteneingang bis zum Nektar vorzudringen, z. B. beim Steinkraut oder bei der Blüte des Lerchensporns (s. Abbildung), wo das Nektarium (Ne), die Honig- oder Saftdrüse, sehr tief im Blütensporn liegt. Dann versuchen es die Hummeln auf andere Weise, durchstoßen den Blütenrand oder beißen mit dem Oberkiefer Löcher hinein, um an die Honigquelle zu gelangen (nach Beobachtungen von Prof. H. Kugler).

Eine andere, für Bombina aber sehr gefährliche Insektenmutter ist Mutilla. Sie besitzt keine Flügel, und den Trick des kleinen Käfers Antherophagus, ihren zukünftigen Wirt gleich als Flugzeug zu benutzen, kennt sie nicht. Sie könnte ihn auch gar nicht anwenden, denn Mutilla, die Spinnenameise, ist dafür viel zu schwer. Mit Spinnen oder Ameisen hat sie übrigens nichts zu tun. Sie zählt, wie die Hummeln, zu den Hautflüglern, zu einer weit entfernten Familie. Ihr Steckbrief: knapp fünfzehn Millimeter lang, großer Kopf, kurze, fadenförmige Fühler, Brust kräftig gewölbt, Rücken rotbraun, schlanke, wespenartige Taille, Hinterleib kurz, eiförmig dick, mit weißen Haarflecken, kräftige, behaarte Beine, auffallend starker Hautpanzer.

Auch dieses Geschöpf, nicht größer als eine von Bombinas Hilfstöchtern, wagt sich furchtlos in das Nest, zwischen ein halbes Hundert giftstachelbewehrter, verteidigungsbereiter Hummeln. Und merkwürdig: Keine Hummel stürzt sich auf diesen Todfeind aller Hummelnester, ruhig setzen die Nestinsassen ihre Arbeiten fort, als sähen sie nicht mit eigenen Augen die ungeheure Gefahr. Gewiß, Hummeldolche könnten Mutillas Rüstung wenig anhaben, dazu ist deren Panzer viel zu stark. Aber es wäre doch gelacht, wenn fünfzig Hummeln nicht ohne weiteres einen nur gleich großen Eindringling zum Nest hinauswerfen könnten. Sie scheinen jedoch instinktiv zu fühlen, wie überaus gefährlich dieser Gegner im Nahkampf ist. Mutilla ist unglaublich wendig, fast unverwundbar und im Besitz eines langen, harten, todbringenden Stachels. Es wäre auch zwecklos, sie zu vertreiben, Mutilla würde sofort zurückkehren und ihr wahrhaft tödliches Werk unbeirrt beginnen.

So lassen die Hummeln das Unvermeidbare geschehen, und es ist ein Glück, daß ihr Brutgeschäft bereits dem Ende entgegengeht. So besteht Hoffnung, daß wenigstens ein Teil der vielen zu Vollkerfen herangewachsenen Hummellarven Mutillas Schandtaten überleben wird. Wie fast alle Eindringlinge in Hummelnestern, verkriecht sich unsere Spinnenameise zunächst unter den Wabenteller. Aber bald kommt sie hervor, rennt zu den Brutzellen und wählt sich jene aus, worin die jungen Larven bereits kräftig futtern. Sie durchbohrt die Zellwand und auch die Haut der darunter liegenden Hummellarve und läßt eines ihrer Eier in das Opfer hineingleiten. Die Hummellarve verspürt den Stich kaum, sie knabbert eifrig an ihrem Kuchenteig weiter. Sie bleibt auch unbeteiligt, als aus Mutillas Ei eine Made herauskriecht und sofort beginnt, das Körperfett der Hummellarve zu verzehren. In ihr und von ihr ernährt sich nun ein anderes Wesen, das sich schnell entwickelt, während die Wirtslarve bei dem Versuch, sich zu verpuppen, eingeht. Die fremde Made verpuppt sich in den bereits gesponnenen Kokon, und statt einer Hummel entsteht darin eine Spinnenameise. Am ersten Tag sind es fünf Larven, mit denen Mutilla so verfährt. Als sie am nächsten Tag weitere drei Eier versenkt hat, erscheint unerwartet eine zweite Mutilla im Nest. Und das ist die Rettung für Bombinas Familie. Was die Hummeln nie zuwege gebracht hätten, das besorgen jetzt die beiden Eindringlinge schnell und gründlich. Sie kämpfen so erbittert miteinander, bis eine tot am Boden und die andere im Sterben liegt. Die Spinnenameisen, die aus den acht hinterlassenen Eiern kriechen, bleiben nur solange im Hummelnest, bis ihre Haut sich gehärtet hat. Dann machen sie sich davon, drei Weibchen und fünf geflügelte Männchen.

Zu Bombinas Nest fühlt sich manchmal auch die Motte Aphomia sociella hingezogen, ein Kleinschmetterling, dessen Brut ebenfalls bei Hummeln heranwächst. Das Weibchen verbirgt seine Eier in dunkler Nacht nahe dem Nesteingang, denn in die Höhle des Löwen einzudringen, dürfte ein so schwaches Wesen nicht wagen. Die Räupchen schlängeln sich nach Verlassen ihrer Eier allein zu den Brutzellen der Wirte. Sie wachsen zu stattlichen Raupen heran, werden etwa zwei Zentimeter lang und überziehen ihre Umgebung mit dichten Gespinsten, so sehr, daß mit der Zeit die Brutkammer der Hummeln völlig verfilzen kann. Aber dagegen wehren sich die Hummeln, zerfetzen die Gewebe und werfen die spinnenden Raupen, wenn sie ihrer habhaft werden können, zum Nest hinaus.

Mit dem größten Feind aller im Boden hausenden Hummeln, dem Fuchs, hat Bombina zu ihrem Glück keine Bekanntschaft machen müssen. Füchse spüren gern Hummelbauten auf, graben sie aus und vernaschen den ganzen Inhalt, Honig, Maden und Zellen. Ein Zufall, daß keiner Bombinas Heim entdeckt hat.

 

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