Vom Flug in die Freiheit und von der Knotenwespe

 

Der dritte Tag des Wächterdienstes brachte für Vespa ein großes und erregendes Erlebnis. Umherstreifende Buben aus der nahen Kleinstadt entdeckten gegen Mittag das Wespennest und wollten es ausräuchern. Vom Flußufer brachten sie einen Ballen knisterdürres Gras, das der Beherzteste unter ihnen in das Schlupfloch stecken und dann anzünden sollte. Die Jungen ahnten nicht, daß Vespa bereits sämtliche Wächter alarmiert hatte und ein Schwarm von mindestens dreißig entschlossenen Stachelträgern den Angriff erwartete. Trotzdem gelang den Buben der erste Teil des Überfalls. Blitzschnell warf sich der Rädelsführer vor das Schlupfloch, drückte den Graspfropfen ein wenig hinein und zündete ihn an. Vespa und die anderen Wächter wichen überrascht und verstört in den Gang zurück. Lichterloh flammte das Gras auf und die Stadtbuben stimmten ein frohlockendes Geheul an. Sie tanzten um das Wespenloch herum und bedachten nicht, wie schnell das gras verbrannt sein würde und wie wenig Rauch nach unten in den Erdschacht hineinzog. Viel zu wenig, um die Wespen zu betäuben oder gar zu ersticken ! Das einzige, was sie mit ihrem streich erreichten, war, daß der gesamte Wespenstaat in eine maßlose Erregung geriet und Hunderte der gereizten Tiere dem Erdschacht zustrebten. Ja, und dann kam es wie es kommen mußte. Die Flammen fielen zusammen. Den Zunder trieb der wind schnell davon. Und das Schlupfloch spie Wespen ! Mit bösem Summen, hocherhobenen Köpfen und stampfenden Beinen wälzte sich ein wahrer Heereszug von erbosten Stachelträgern durch den engen Schacht und stob in dichten Wolken empor. Mit gezückten Giftstacheln stürzten sich die Schwärme auf die Flüchtenden. Auch über Vespa war die blinde, tolle Wut, der rote Rausch der Rache gekommen. Mit stolzer Beseligung spürte sie die Kraft ihrer wirbelnden Schwingen, warf sich sausend in den Luftraum und stieß mit hohem Drohton auf die schon mehrfach gestochenen und erbärmlich schreienden Feinde nieder.

        Bis weit über den Fluß setzten setzten die Wespen die Verfolgung fort und bewiesen, wie fürchterlich sie sein konnten und wie dumm es meistens ausläuft, wenn man die Gefährlichkeit eines Gegners unterschätzt. Drüben in der Stadt lagen noch tagelang ein paar armselige Patienten mit geschwollenen Backen und hatten neben dem Schaden auch noch viel Spott zu ertragen. Vespa aber kehrte vorerst nicht zum Nest zurück. Sie spürte, jetzt war die Zeit der goldenen Freiheit gekommen. Damit sie ihre späteren Aufgaben erfüllen konnte, entband sie der Wespenstaat von jeglicher weiteren Dienstleistung.

 

        Und Vespa schwelgte in all den Süßigkeiten, die das reife Jahr mit vollen Händen ausschüttete. Denn natürlich besuchte sie zuerst einmal die von allen Seiten mit grellen Farben winkenden und mit vielerlei Düften lockenden Blumen. Nach all der Fleischnahrung im Wespenbau gierte sie geradezu nach süßen Genüssen. Sie flog zum Blut- und Schotenweiderich, zum Beinwell und Vergißmeinnicht am Bach, zum blauen Natternkopf und der goldenen Königskerze am Steinbruchhang, zur Flockenblume und Käsepappel am Wiesenrand, zum Bilsenkraut und zur Tollkirsche im Wald, zum Rainfarn und der Distel auf den Triften. Mit großem Verständnis erfaßte sie den oft verwickelten Bau der Blütenkelche, schabte begeistert den nährenden Pollen und saugte gierig den süßen Nektar. Sie brauchte es auch nicht erst den Hummeln und den Bienen abzusehen, wie man sich helfen konnte, wenn das Honigfaß zu tief in Grund des Kelches stand. Mit wenigen Schnitten trennte sie dann die blaßgrünen Kelche des Klappertopfes und die Leinkrautblüten auf und gelangte gelangte so durch kühnen Einbruch zum begehrten Trunk. Und sehr schnell begriff sie, daß die überraschenden Schlagwerkzeuge der Blüten für eine Wespe viel zu harmlos waren.

        Das ist ja das Wunderbare an den Insekten, daß sie nicht erst selbst die notwendigen Erfahrungen sammeln müssen. Vom ersten Tage ihrer Geburt an sind sind sie mit fast allen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgerüstet, die sie für ihr Leben brauchen. Sie haben es nicht nötig, zu überlegen, zu untersuchen und nachzudenken. Ihr winziges Gehirn wäre auch gar nicht imstande dazu. Es braucht ihnen niemand zu sagen, und sie brauchen es nicht erst zu entdecken, daß Blumen ihnen Honig bieten. Sie spüren es, sowie sie eine Blume erspähen.

 

        Am Nachmittag gab sich Vespa einem ergiebigen Sonnenbad hin. Wie alle anderen Wespen liebte auch sie die Wärme und fühlte sich der Sonne verbunden. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als ganz plattgedrückt auf einem von der Sonne durchglühten Blatt zu sitzen und die Wärme und das licht aufzusaugen. Vespa zitterte geradezu vor Wonne, vor wohlbehagen und Lichtgenuß ! Sie zitterte so stark, daß ihre feinen Fühler die Luft zu peitschen begannen und ihre schlanken Beine einen erregten tanz ausführten. ganz deutlich konnte man den Wirbel der tanzenden Beine hören.

 

Wespenkoenigin    Als stachelbewehrtes Wesen traegt die Wespe eine aufdringliche gelbschwarze Faerbung, die als Warnfarbe angesehen wird. Die grelle Faerbung ist für die Feinde der Wespe ein deutliches Zeichen, sich von ihr fernzuhalten.Und hier im vollen Licht, wo alle geschmeidigen und langgestreckten Glieder, alle die lebhaften Farben und Zeichnungen dieses schlanken Tierkörpers plastisch und schimmernd hervortraten, hier wurde erst deutlich, wie schön Vespa war. Ein kleines Wunderwerk sinnvoller Verstrebungen stellte allein das Adernetz der gläsernen Flügel dar. Die dünne Sichelform dieser Flügel kennzeichnete den schnellen und reißenden Flieger, der der mit seinen weit über dreihundert Flügelschlägen in der Sekunde wie ein blitzender Funke dahinstob und sich im unbeweglichen Rüttelflug in der Luft zu halten vermochte. Im Flug griffen kleine Häkchen an den Hinterflügeln über den Rand der  Vorderflügel, und so verbanden sich beide Flügelpaare zu einer großen, tragkräftigeren Fläche. Golden schimmerten die feinen Haare der Brust und der mit getigerten Streifen verzierten Hinterleibsspitze. Der tiefeingeschnittene Gürtel zwischen Brust und Leib verlieh ihrem Körper eine  ungewöhnlich vornehme Linie und erhöhte Beweglichkeit. Ja, Vespa war schön! Schön und gefährlich!  Das mußte im gleichen Augenblick die blauschimmernde Schmeißfliege erfahren, die sich soeben neben Vespa niederließ. Noch ehe sie ihre Flügel zusammengelegt hatte, fühlte sie sich gepackt. Und noch ehe sie erschrocken an Gegenwehr dachte, saß ihr Vespas Stachel tief im Leib. Verzweifelt versuchte die Fliege loszukommen, summte laut auf und wirbelte wie wild mit den Flügeln. Sie brachte es auch wirklich noch fertig, Vespa vom Blatt herunterzureißen. Dann aber wirkte schon das lähmende Gift. Die Fliege verstummte. Vespa biß der Betäubten schnell die Flügel ab, riß ihr die  Beine aus und trennte den Hinterleib von der Brust. Gierig gab sie sich dem Genuß der schmackhaften Fliegenbrust hin und hatte kaum einen Blick für eine andere Kampfszene, die sich währenddes dicht neben ihr abspielte.

 

        Auch hier war eine Wespe der Angreifer. Der Überfallene aber war ein dickgepanzerter Rüsselkäfer. Stirn an Stirn standen sich die beiden Kämpfer gegenüber. Der Rüsselkäfer glich einem vom Kopf bis zum Fuß geharnischten Ritter. Sein Gegner, eine Knotenwespe, erinnerte an einen geschmeidigen Fechter. Der flinke Fechter griff an. Mit seinen Kiefern packte er überraschend den harten Rüssel des Käfers und zwang den großen, plumpen Kerl auf die Knie. Der Panzerritter krümmte sich in den Beinen und versuchte, die Wespe wie eine Dampfwalze zu überfahren. Aber schon hockte ihm der wendige Gegner im Nacken und drückte ihn mit solcher Kraft nieder, daß des Käfers Panzerringe am Bauch weit auseinander­klafften. Der mehrfach eingeschnürte und sehr geschmeidige Hinter­leib der Wespe bog sich von oben um den Körper des Käfers her­um, ertastete die klaffenden Ringe, krümmte sich und stieß zu. Wie vom Blitz gefällt, sackte die plumpe Dampfwalze zusammen. Weder Beine noch Fühler zeigten die geringste Bewegung mehr. Der Rüsselkäfer schien tot zu sein, war zusammengestürzt wie ein vom Bolzen getroffener Stier.

        Vespa staunte. Diese Knotenwespe mußte ein ganz besonderes Gift an ihrem Stachel haben. Noch mehr aber staunte sie, als die Knotenwespe jetzt ihr Opfer packte, es fest gegen ihre Brust drückte und sich mit ihm in die Luft erhob. Donnerwetter! Die hatte Kraft! Der Rüsselkäfer war doch mindestens zweimal so schwer wie die Knotenwespe selbst. Und da es Vespa unbegreiflich erschien, wie diese Verwandte überhaupt an das Fleisch ihres Opfers herankommen wollte und warum sie es nicht gleich an Ort und Stelle verzehrte, erhob auch sie sich und folgte der schwer­fällig davonfliegenden Transportmaschine.

        Weit flog die Knotenwespe, ehe sie an einem sonnigen und sandigen Hang landete. Hier legte sie den Rüsselkäfer nieder, trippelte ein wenig hin und her, als suchte sie etwas, und schob plötzlich ein flaches Steinchen zur Seite. Aha, eine Höhle! Und schon war die Knotenwespe in der Höhle verschwunden. Sie kam aber sofort wieder heraus, packte den Rüsselkäfer am Kopf, zerrte das Opfer den Hang hinauf und in die Höhle hinein. Wieder mußte Vespa die Kraft der Artgenossin bewundern, die bei dieser schweren Arbeit noch vergnügt vor sich hin summte, obwohl ihr der schwere Käfer dreimal den Hang wieder hinunterrollte. Neugierig schob Vespa sich an den Eingang der Höhle heran und kam gerade zu­recht, um zu sehen, wie die Knotenwespe ihr Ei auf dem rücklings liegenden Rüsselkäfer ablegte. Vespa wußte genug. Der Rüssel­käfer war also zum Larvenfraß bestimmt. Sie wich zurück und sah noch zu, wie die Knotenwespe den Höhleneingang mit Sand und Steinchen vermauerte und mit den Flügeln alle Spuren verwischte.

        Vespa wußte aber nicht, daß der Rüsselkäfer durchaus nicht tot, sondern nur gelähmt war. Der zielsichere Stich der Knotenwespe in seine dicht zusammenstehenden Bewegungsnerven hatte diese Lähmung herbeigeführt. Und da nur der Rüsselkäfer so anfällig ist, daß er mit einem einzigen Stich des Giftstachels völlig be­wegungsunfähig gemacht werden kann, hatte sich die Knotenwespe eben gerade diesen rundum gepanzerten Käfer erwählt. Einen wirklich toten Käfer in die Höhle zu schleppen, hätte keinen Sinn gehabt, weil er bis zum Ausschlüpfen der Made entweder ver­trocknen oder verfaulen würde. Die Maden der Knotenwespe aber verlangen frisches Fleisch. Und im gelähmten Zustand hält sich der Käfer wochenlang frisch. Vespa ahnte auch nicht, daß die Knoten-Wespe eine so genaue Kenntnis vom Körperbau des Käfers hatte, daß sie ihren Stich nur in den Panzerspalt zwischen dem ersten und dem zweiten Beinpaar anbrachte. Dort saßen die Nerven des Käfers dicht beisammen. Und nur an dieser Stelle wirkte der Stich so blitzartig. Da Vespa ganz andere Lebensaufgaben hatte, brauchte sie das alles auch nicht zu wissen.

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