Von den Gallwespen und vom Kampf um die neue Heimat

Vespa schlief, und alle Wespenstaaten zerfielen. Als echte Sonnen­kinder waren auch die Grabwespen längst in die ewigen Jagdgründe hinübergewechselt. Der Winter legte nun eine warme Schneedecke über ihre Larvenkinder in den kleinen Erdhöhlen. Die Maden der Schlupfwespen hatten sich auf dem Leib ihrer Wirtstiere gelbseidene Puppenhäuschen gesponnen, in denen sie sich verwandelten und ihrer Auferstehung entgegenschliefen. Das Wetter konnte ihnen nichts anhaben, und auch vor den meisten Vogelschnäbeln waren sie sicher. Hoch lag der Schnee auch auf den jetzt dunkelbraun ge­färbten Galläpfelchen der Eichenblätter. In diesen kleinen Kugel­häuschen schliefen die winzigen Gallwespen. Sie ruhten da warm und sicher und würden sich wohl hüten, ihre Schlupfwinkel zu ver­lassen. Das meinen wir Menschen wenigstens. Aber gerade diese zartesten Vertreter des Wespengeschlechtes fürchten sich nicht vor dem Winter. Gerade diese Zwerge verließen mitten in einer kalten Dezembernacht, mitten im Schneetreiben ihre warmen Wiegen und tanzten vergnügt durch den Wald. Es waren alles nur Weibchen, die ausgerechnet in dieser ungünstigen Zeit aus den Galläpfeln schlüpften. Und sie wurden nur geboren, um ihre Eier in die winterharten Eichenknospen zu legen. Diese schwere Arbeit er­schöpfte die Tierchen so sehr, daß sie unmittelbar darauf starben. Nicht einmal Nahrung nahmen diese jungfräulichen Mütter zu sich. Aus ihren Eiern aber werden im Frühjahr Männchen und Weibchen schlüpfen, werden sich paaren, und die Weibchen sind dann wieder die Erzeuger der hübschen rosigen Galläpfel.

        Die kleinen schwarzen Gallwespen im Winterschnee summten das letzte Wespenlied des Jahres. Und auch dieses Lied war voller Rätsel und Geheimnisse. Denn wie es diese Zwerge fertigbringen, daß die Pflanzen, Ahorn, Eichen, Weiden, Rosen auf ihren Einstich hin die schönsten Kugeln und Zuckerhütchen, die lustigsten Knollen und Hexenschöpfe ans ihren Blättern und Zweigen herauswachsen lassen, das ist die reinste Zauberei.

        Der Januar und der Februar kamen und vergingen und brachten manche Not und Beschwernis für die Tiere des Waldes, von der unsere schlafende Vespa nichts ahnte. Sie konnte höchstens ein kräftiger Spechtschnabel in Not und Gefahr bringen. Da aber auch der Eichenstumpf hoch verschneit lag, blieb sie unbehelligt. Der März tobte mit wechselnden Launen durch den Wald, und der April begann einen bunten Blütenteppich zu weben. Zitronenfalter und Tagpfauenaugen kamen aus ihren Schlupfwinkeln unter den Laub­ecken und hinter den Baumrinden hervor und begrüßten die Frühlingsblumen. Die überwinterten Hummelweibchen krabbelten aus ihren Moosverstecken und brummelten vergnügt los. Die kleine Wildbiene, die den Winter in einem leeren Schneckenhaus verschlafen hatte, stürzte sich hungrig auf die blühenden Salweidenkätzchen. Selbst in der Ameisenburg regte sich wieder das Leben.

        Ja, und nun ermunterte sich endlich auch Vespa in ihrem Käfer­ohrloch. Sie hatte so fest geschlafen, daß sie sich erst lange auf das neugeschenkte Leben besinnen mußte. Schließlich aber lockte sie die Wärme doch hervor. Vespa krabbelte heraus und begann sich eifrig zu putzen. Sie war nun eines der wenigen Weibchen, die das große Wespensterben überstanden hatten. Sie war eine Auserwählte! Denn es vermochten sich durchaus nicht alle Wespenweibchen über den Winter zu retten. Viele starben schon in den Nestern, und viele waren später noch zugrunde gegangen. Ihr aber war das Glück hold gewesen. Sie hatte das Schicksal zur Stammutter unzähliger noch ungeborener Wespen auserkoren. Und ge­waltig und alle ihre Sinne beherrschend, erhob sich in ihr jetzt der Trieb, ein neues Wespenreich zu gründen. 0, und es war keine Zeit mehr zu verlieren! Auch die kleinen Buschhornblattwespen alten schon ihre Puppenwiegen verlassen und waren bereits eifrig dabei, ihre Eier in die Nadeln der Fichten und Kiefern zu legen. Um die Wipfel der alten Fichten aber schwärmte die von allen Förstern gefürchtete Gespinstblattwespe. Die Larven, die aus den Eiern dieser beiden kleinen Wespenarten schlüpfen, können ganze Wälder kahlfressen und unheimlichen Forstschaden anrichten. Sie werden sehr oft als Schmetterlingsraupen angesehen. Wer sie sich aber genauer betrachtet, der sieht, daß sie mit elf Beinpaaren ausgerüstet sind, während jede echte Raupe höchstens acht Bein­aare besitzt.

        Vespa kümmerte sich wenig um diese kleine Vetternschaft. Sie nahm vielmehr ein ausgiebiges Honigfrühstück zu sich und stärkte sich an einigen leckeren Fliegen. So! Nun fühlte sie sich wieder! Spannkraft und Unternehmungslust befeuerten sie. Und nun auf und los! Jetzt mußte ein Erdloch gesucht und gefunden werden, das zur Anlage des unterirdischen Nestes dienen konnte. Das war nicht leicht. Dieses Erdloch mußte viele Vorzüge in sich vereinigen. Es mußte sich durch seine südliche Lage auszeichnen. Es sollte möglichst im Windschatten liegen. Es durfte sich nicht in zu lockerem oder gar sandigem Boden befinden. Und es mußte von einem gut verwachsenen Rasen bedeckt sein. Vespa suchte lange und mäkelte viel. Ihre Wahl fiel endlich auf die Reste eines zu­sammengestürzten Maulwurfsganges. Sorgfältig und umständlich untersuchte sie immer wieder alle Einzelheiten des Ortes. Sie kam zu dem Ergebnis, daß das Maulwurfsloch alle Bedingungen erfüllte, 0 ja, das zukünftige Reich würde nicht weit vom sonnigen Wald­rand liegen. Ein hoher Haufen gesammelter Feldsteine schützte das Nest vor den Westwinden. Der Rasen war fest verwurzelt und tüchtig verfilzt und ließ bestimmt wenig Nässe durch. Mächtige Queckenwurzeln hingen in die kleine Höhlung hinein und würden gute Aufhängeträger für das Nest absehen. Ja, der Platz war gut, war tadellos, war sogar noch bedeutend besser als der Platz des alten Nestes. Vespa hatte nämlich auch ihren vorjährigen Nest­bau gründlich untersucht und nichts als ein wenig Unrat in der großen Höhle gefunden. Die vielen Waben mit den Tausenden von Zellen und die dicke große Schutzhülle waren völlig zusammen­gefallen. Die Larven einer weißlichen Motte, eines hübschen Speck­käfers und eines anderen, roten Käferchens hatten alles gründlich zernagt und aufgefressen. Der toten Larven und Wespen hatten sich noch die Asseln und Tausendfüßler, die Moder- und Aaskäfer angenommen, die schon damals im Herbst reichliche Beute fanden. Nichts ließ ahnen, daß hier vor wenigen Monaten ein Volk von mehreren tausend Wespen lebte und wirkte.

        Nein, Vespa war entschlossen, das neue Reich an einem neuen Ort zu gründen! Der alte Maulwurfsgang zog sie immer wieder an. Und als ihn eine andere überwinterte Königin ebenfalls umkreiste, stürzte sich Vespa wütend auf diese Mitbewerberin. Weg da! Hier baue ich! Aber die andere schien sich gleichermaßen über Vespa zu ärgern. Sie wich nicht. Und als Vespa sie angriff, setzte sie sich zur Wehr. Oho, und auch sie war ein kräftiges und jähzorniges Ge­schöpf! Es gab einen tollen Wirbel und hitzigen Kampf, der täglich neu entbrannte. Ja, tagelang rangen die beiden Königinnen um den günstigen Platz. Sie kannten plötzlich kein anderes Erdloch mehr als gerade dieses hier. Und sie waren beide bereit, der anderen den Garaus zu machen. Vespa geriet vor Wut vollkommen außer Rand und Band. Was, sie sollte hier weichen? Sie, die sie diesen Platz zuerst entdeckt hatte? Niemals! Denn niemals würde sie einen besseren Flecken finden. Ha, wo doch kaum eine Flugminute entfernt diese prächtige alte Pappel stand, deren Rinde so morsch und brüchig war! Wo sie dieses graue Rindenholz über alles liebte! Einen viel besseren Baustoff, als ihn die Holzfasern der Telefon­stangen boten, würde diese Pappel liefern. Nein, sie dachte nicht daran, das Feld zu räumen! Und am dritten Tage gelang es Vespa, die Gegnerin so zu packen, daß sie ihr den Giftstachel tief in den Leib stoßen konnte. Blitzschnell, und ehe die Getroffene ihrerseits zustechen konnte, ließ Vespa los und wich zurück. Sie wußte, der Stich hatte gesessen. Todesstoß! Gut! Auch der war nicht von Pappe gewesen. Schwach nur zitterten noch die Flügel und Fühler der Sterbenden, ohnmächtig krümmte sich ihr Hinterleib. Jetzt streckte er sich lang aus. Vespa sprang hinzu und riß der Über­wundenen die Flügel aus. Weg damit! Weg mit diesem frechen Ding überhaupt! Voller Ingrimm zerriß und zerfetzte sie den Körper der Feindin. Sieg und Triumph! Das Maulwurfsloch gehörte ihr! Rund um ihre zukünftige Heimat zog Vespa weite Kreise und summte so hoch und so frohlockend und schoß so wild und reißend dahin, daß ihr jeder andere Flieger und Flatterer ängstlich auswich.

        Vespa wußte auch schon, daß sie das jetzt zu bauende Nest an den herabhängenden Queckenwurzeln aufhängen würde. Sie wußte überhaupt ganz genau, wie stark diese lampenschirmähnliche Glocke sein mußte. Sie brauchte keinen Bauplan zu entwerfen und brauchte keine Berechnungen anzustellen. Das Nest mit allen seinen Einzel­heiten stand ihr klar vor Augen. Und natürlich würde auch sie sechs­eckige Zellen bauen, weil eben diese Sechseckform den wenigsten Raum beanspruchte.

        Und Vespa begann! Ganz allein und ganz aus sich heraus legte sie noch am gleichen Tage den Grundstein zu einem neuen, zu ihrem Wespenreich. Planvoll und überlegt begann sie und war voll Kraft, voll Ungeduld und zähem Eifer.

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